Noch einmal Lützerath
einsvonzwölf | Samstag, der 11. Februar 2023
Aiaiai. Zum Glück habe ich nie behauptet, diesen Newsletter pünktlich zum Monatswechsel zu schreiben. Es ist eigentlich purer Zufall, dass das Jahr zwölf Monate hat und ich mir zwölf Texte vorgenommen habe. Wirklich!
Naja. Da bin ich wieder. Gut durch die letzten Wochen gekommen?
Protest und Erde
Noch einmal Lützerath
Beim letzten Mal habe ich über die Proteste in Lützerath geschrieben, ich habe sie ein "Symbol" genannt – und mich danach eine ganze Weile gefragt, ob das passt, und ob das nicht eigentlich eine sehr hoffnungslose, resignative Perspektive ist.
Eigentlich ist die Geschichte ja leicht erzählt. Ich könnte mich ganz elitär hinstellen, und sagen: Seht her, das meinte ich. Der Protest in Lützerath wurde in atemberaubender Geschwindigkeit aufgelöst und das Gebiet geräumt, jetzt wird gebaggert. Übrig bleibt ein halber Monat Medienecho, ein Mönch, der sich gegen Polizist:innen stellt und eine getragene Greta Thunberg. Nichts als ein Symbol war das Ganze, und das war ja von Anfang an klar; die Staatsgewalt sitzt am Ende am längeren Hebel. Ich hab's ja gesagt.
Das ist die hoffnungslose Weiter-So-Perspektive. Und natürlich auch quatsch. Ich habe in den Tagen nach der Räumung öfter in diese Richtung gedacht und mich daher vor allem gefragt: Warum? Wieso einen Ort besetzen, dessen Ende absehbar ist (und den die meisten Anwohnenden längst aufgegeben haben, was ja auch die traurige Geschichte der jetzt, so heißt es, "geretteten" Orte ist: Die meisten Anwohner:innen sind sowieso längst weggezogen. Was gerettet wurde, ist der Boden, nicht der Wohnort der Menschen), bei dem die Wahrscheinlichkeit, dass man tatsächlich etwas am Lauf der Dinge verändert, unfassbar gering ist. Das "Symbol" ist an dieser Stelle ein Platzhalter für Spielerei, manche würden vielleicht sagen Nutzlosigkeit: so wie es Wörter wie Symbolfoto oder die Symbolpolitik auch manchmal implizieren.
Aber das trifft glaube ich nicht, was und worum es geht. Es geht, um beim Wort zu bleiben, vielleicht eher um die Symbolfigur, zu der man bekanntlich aufschaut.
Protestrichtungen
Ein Protest kann erstmal ganz unterschiedlich gerichtet sein bzw. verstanden werden. Protest kann ausdrücken: So nicht, macht was, nehmt uns ernst, also an die Politiker:innen, Entscheider:innen gerichtet sein. Er kann aber auch ausdrücken: Seht her, was hier passiert, warum macht ihr das mit, also an die Mitmenschen gerichtet sein – und natürlich genau so auch in beide Richtungen zeigen. Die Debatten um Protestierende der "Letzten Generation" und ihre Aktionen auf Straßen und in Museen zeigen zum Beispiel auch: manchmal gerät das durcheinander, manchmal ist nicht ganz klar, welche Richtung nun überwiegt (und noch viel weniger, ob die gewählten Mittel der Adressierung gerecht werden).
Und die Hoffnungslosigkeit, die Fragwürdigkeit, mit der ich mich ein wenig rumgeschlagen habe, gilt vor allem für die erstgenannte Richtung davon: Die nach oben, an Politik und RWE.
Wobei man zumindest nicht unterschlagen sollte, dass es auch dabei schlimmer hätte kommen können. Es wurden Erfolge erzielt, wenngleich der "Kompromiss", die Vereinbarung zwischen Land NRW und RWE auch als Teil des Problems gesehen werden kann: Was für ein demokratisches Gemeinwesen soll das sein, in dem der wortwörtliche Boden, auf dem es fußt, nicht mehr als Grundlage für dieses Gemeinwesen verstanden wird, sondern etwas ist, dass man sich notdürftig zurückkompromissen muss?
Das scheint mir nicht nur demokratietheoretisch in die falsche Richtung zu zeigen, es ist auch rechtlich nicht die einzige Möglichkeit, als die es verkauft wurde. Nicht zuletzt gibt die Verfasstheit dieses Gemeinwesens (das Grundgesetz) seinem Souverän (was am Ende seine Bevölkerung ist) etwas reichlich spezifisches mit:
Artikel 15 GG: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend."
Besagte Entschädigung "ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen".
Eine juristische Diskussion dieses Artikels mit Bezug auf RWE und zugleich auch eine kleine Einordnung, warum das so im Grundgesetz steht, gibt es hier.
Die andere Seite
Zurück zum Protest bei Lützerath. Ich finde, wenn man die andere Seite des Protests betrachtet, die an die Mitmenschen gerichtete, kommt man deutlich weiter. In der Selbstbeschreibung von "Lützerath Lebt!" klingt das so:
"Wir sind hier um die Zerstörung die RWE anrichtet sichtbar zu machen. Wir sorgen dafür, dass RWE nicht weiter unbemerkt zerstören und Fakten schaffen kann. In Lützerath wird kein Haus mehr abgerissen und kein Baum gefällt ohne dass es die Öffentlichkeit mitbekommt."
Darin steckt die Botschaft an alle anderen: Wie könnt ihr nur? Wie können wir nur zu lassen, dass das passiert, welche Welt soll das sein? Vor allem: Was ist besser?
Denn alle politische Bewegung rund um Lützerath war nicht einfach Protest: Seit mehreren Jahren haben Aktivist:innen dort tatsächlich gelebt und (von) dort gerabeitet. Die Nachricht an uns alle ist dann in etwa die, dass es nicht sein kann, dass wir so leben, wie wir es tun: Indem wir alle Natur vorwiegend als eine Ressource begreifen, die uns etwas gibt (vor allem Energie), die wir leerräumen und ausbeuten, solange sie uns das gibt – und die wir noch dazu am Ende des Prozesses zumüllen, mit den Produkten aus dem, was wir ihr vorher entnommen haben.
In Lützerath wurde über Jahre gelebt, dass es anders geht – Leben in Baumhäusern statt dort, wo mal Bäume standen, mit reduziertem konsumieren und wegwerfen, gegen die Extraktionslogiken, die mit der unter dem Ort gefundenen Kohle verbunden sind. Lützerath ging damit stark über das hinaus, was mit Protest greifbar ist: Das Projekt war in diesem Sinne auch eine gelebte utopische Praxis. Es hatte für die Beteiligten einen Sinn, der deutlich über das Stellen von Forderungen und Appelle hinausgeht.
Und zugleich, als der Konflikt zum Jahreswechsel laut und sichtbar wurde, war es ein Protest der die Frage aufwirft: Was wollt ihr denn eigentlich lieber? Löcher oder anders leben?
Das so zu verstehen heißt für mich weder, dass eine riesige Menge von Menschen durch diesen Protest genau diese Frage im Kopf hatte, noch, dass ein so wörtliches "zurück auf die Bäume" ein adäquater Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit sein kann, schon gar nicht für alle. Aber ein Erfahrungs- und Hinterfragungsraum ist definitiv geöffneter als vorher. Eine der dort langjährig lebenden Personen, Indigo, sagt vermutlich auch deshalb in der Dokumentation von Strg+F:
"Wir haben in Lützerath einiges gewonnen, obwohl wir verloren haben."
Das ist die hoffnungsvollere Version. Sie steht im Kontext einer großen Reihe solcher Besetzungsformen in den letzten Jahren: Kurz nach Lützerath wurde hier in Frankfurt der lange bewohnte Fechenheimer Wald geräumt, im Heidebogen bei Dresden besetzt man weiter, gegen den Südschnellweg bei Hannover ebenfalls, usw. Und es ist nicht nur deutsche Praxis, wie das Beispiel der französischen Zones à défendre (ZAD, dt. zu verteidigende Zonen) zeigt. In allen diesen und weiteren Fällen ist der Bezugspunkt, der Sammelpunkt ein Projekt, dass unser zerstörerisches Verhältnis zur Welt weitertreiben soll: Flughäfen, Autobahnen, Kieswerke etc.
Und genau deshalb sind solche Bewegungen auch etwas anderes als beispielsweise jene gegen Atomkraft aus der Vergangenheit. Anders als damals wird (1) die Alternative auch gelebt, statt in erster Linie über punktuelle Verhinderungen betrieben zu werden und (2) wird umfassend unser Verhältnis zum Boden und seine Ressourcen thematisiert, statt spezifische Gefahren einer Form von Energieerzeugung für das Weiter-So einer eingeübten Lebensweise. Es geht heute sowohl in diesen Orten des praktischen Eingreifens wie auch in einigen wissenschaftlichen Diskursen tatsächlich um Eigentum am Boden, um Verantwortungen der Erde gegenüber, und schlussendlich auch um andere Formen, Natur und Welt überhaupt zu verstehen: Nicht als ein Gegner:innen, Anderes, Gegenübergestelltes sondern als Teil und Voraussetzung von Menschen.
Die falscheste Frage
Abschlussbemerkung: Immer wieder ging es im Kontext von Lützerath darum, ob wir die Kohle denn eigentlich brauchen und ich fühle mich mit der Frage unwohl, auch wenn man sie, der Studienlage nach berechtigterweise, mit nein beantworten mag. Diese Frage artikuliert eigentlich ganz gut, wie dick die zu bohrenden Bretter des vor uns liegenden Wandels sind. Das Brauchen in dieser Frage orientiert sich am Ist-Zustand, es ist das interpolierende Weitergucken: Aha, der Verbrauch entwickelt sich so, die Vorkommen sind so, okay, das ist der Pfad, auf dem das weiterverläuft. Das Brauchen in dieser Frage verdeckt die viel interessantere Frage, nämlich die nach dem Wollen: Wollen wir diese Kohle noch benutzen? Weil: Wir finden Wege, wenn wir das nicht wollen. Das ist ein angehbares Problem, wenn man sich dafür entscheidet, auf es zuzugehen. Dafür müsste man jedoch diese bedarfskritische Frage stellen. Die Bedarfssituation beim Gas kann zumindest erklärbar machen, dass das geht. Hinzu kommt, dass mehr Ressourcen immer auch mehr Verbrauch bedeuten: Mehr Fahrstreifen-mehr Autos-gleich viel Stau; mehr Flieger-mehr Flugurlaub etc.
Die stoische Erfüllung des angenommenen Bedarfs, weil wir das halt so machen/verbrauchen, ist aus der Zeit gefallen.
Ich möchte das am Beispiel von Annie Ernaux' letztes Mal schon empfohlenem Buch "Die Jahre" lässt sich das literarisch unterstreichen. In der autobiografischen Gesellschaftserzählung zeigt Ernaux nämlich, wie sehr die Entwicklung des Brauchens sich seit dem Zweiten Weltkrieg, im Wirtschaftsaufschwung und allem Folgenden so deutlich manifestiert; wie sehr sich das gesellschaftlich einpflanzen kann. Ernaux schreibt um die 50er-Jahre herum:
"Der Fortschritt war der Horizont des Lebens. Er versprach Wohlstand, Gesundheit für die Kinder, elektrisches Licht in den Häusern, Straßenlaternen, Bildung, alles, was den Krieg und die dunklen Seiten des Landlebens vergessen ließ. Der Fortschritt steckte im Plastik und im Resopal, in Antibiotika, in der Krankenversicherung, im fließenden Wasser und in der Kanalisation, in Ferienlagern und höherer Bildung, im Atom. 'Man muss mit der Zeit gehen', sagten die Leute bei jeder Gelegenheit, als wäre das ein Zeichen von Intelligenz und Weltoffenheit."
Später, in Richtung der 70er:
"Man selbst ging der Werbung natürlich nicht auf den Leim ... wenn man eine Stereoanlage, einen Grundig-Kassettenrekorder oder eine Super-8-Kamera kaufte, war man überzeugt, dass man die modernen Errungenschaften zu einem intelligenten Zweck nutzte. Für uns und durch uns wurde der Konsum zu etwas erhabenem."
"Der Konsum lößte die Ideale von 1968 ab."
Und in den 2000ern:
Man schaffte sich einen DVD-Player an, eine Digitalkamera, einen MP3-Player, einen ISDN-Anschluss, einen Flachbildschirm, man schaffte sich ständig irgendwas Neues an. Wer nichts mehr anschaffte, war alt.
Die anderen Themen sind aufschoben. Danke für's durchhalten. 🫶
Hoffnungsvoll
christopher