Ahoi 2023
nullvonzwölf | Samstag, der 14. Januar 2023
Noch ein Newsletter. Vielleicht ist jetzt der richtige Moment für einen Frühjahrsputz im Postfach (um diese Mail drumherum natürlich!). Um ein kleines bisschen Platz zu schaffen für dieses Selbstexperiment: Ein Christopher, ein Jahr, ein Newsletter. Zwölf Ausgaben habe ich mir vorgenommen, eine jeden Monat, um diese kleine Revue zu veranstalten.
Worum es dabei am Ende geht, bestimmt der Prozess. Es sind einige Jahre vergangen seit ich einfach so, als Selbstzweck, um des Etwas-sagens Willen ins Internet geschrieben habe. Und ich habe lange und oft damit gehadert, ob und wie ich das wieder machen könnte. Irgendwann hat sich dann der Newsletter als Form herauskristallisiert.
Newsletter sind der neue heiße Scheiß wenn es ums Publizieren im Internet geht. Also natürlich nicht wirklich: Newsletter sind älter als die E-Mail selbst und Ihr bekommt alle seit Jahren welche, viele davon unfreiwillig, Spam. Aber der persönliche, handgeschriebene und -verlesene Newsletter ist in. Vielleicht, weil er ein bisschen so ist wie die Textvariante des Podcasts und des Youtube-Videoessays, die sich beide als neue mediale Formen etabliert haben. Unter anderem weil sie persönlich und nah sind, relativ frei strukturierbar, ohne Gatekeeper wie Verlage oder Rundfunkanstalten (und deren Interessen auskommen).
Und jetzt schreib' ich eben auch einen. Aus zwei Gründen als Experiment:
- Ich weiß nur begrenzt, was hier passieren wird. Ich würde das Format gerne ausprobieren und gucken, ob, was und wie viel ich Monat für Monat erzählen, reflektieren, zurechtrücken oder rumspinnen kann. Ob sich wiederkehrende Themenstränge ergeben (wahrscheinlich) und ob das Menschen interessiert (unwahrscheinlicher, aber auch unwichtiger).
- Ich wollte schon länger mal. Und hab mich aus verschiedenen Gründen nicht getraut. Deshalb ist dieser Newsletter zeitlich begrenzt. Ein Jahr. 2023. That's it. (Voraussichtlich.)
Zu spät für Neujahrsgrüße
Adventszeit, Weihnachten, Silvester. Ich weiß, mittlerweile ist das alles schon weit weg – und mein erster Vorsatz, diese Mail in den ersten zehn Tagen des Jahres verschickt zu haben, bereits gebrochen. Eine kleine Reflexion lohnt sich aber trotzdem, glaube ich.
Auch wenn die offiziellen Verhaltensregeln im Jahr 2021 ganz ähnliche waren wie im letzten Dezember, fühlte sich die ganze Weihnachtszeit erst dieses Mal so an, als wäre sie wieder wie "vorher". Und ich setze das bewusst in Anführungszeichen, weil die Welt sich natürlich weitergedreht und unverkennlich verändert hat seit 2019 und zuvor. Menschen sind gestorben oder chronisch erkrankt, die Lücken einer auf Kante genähten markt- und wachstumsorientierten Gesundheitsversorgung offengelegt, die Gefahr von Pandemien hat sich von etwas Abstraktem ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt. Die Frage, was eigentlich von Wert für unsere Gesellschaft ist, stellt sich anders, wenn zum Beispiel die Kategorie der Systemrelevanz beinahe umgekehrt verknüpft mit der menschlichen wie monetären Wertschätzung ist, die wir diesen Berufen erteilen, in anderen Worten: Wie passt die Bezahlung von Kassierer:innen, Pflegekräften, Müllwerker:innen, etc. mit der Notwendigkeit dieser Berufe zusammen, die immer da ist, sich aber in der Pandemiesituation so deutlich gezeigt hat?
Klar, das sind alles Stichworte, größere Themen und Fragen, die ich mir direkt für eine künftige Ausgabe des Newsletters vorgemerkt habe.
Wie aber steht es um Corona? Weihnachten war fast "normal", wie gesagt, und auch sonst ist im Alltag ja nicht mehr viel übrig außer Menschen, die Masken tragen (müssen). Ob das nun gut oder schlecht ist, lässt sich am Ende nicht projizieren: Neue Virusvarianten können schließlich immer entstehen, gerade jetzt in China (wo sich dieser Tage täglich unvorstellbare Menschenmengen anstecken dürften). Trotzdem ist der Ausblick bei Corona ein guter, wenn man die schwerwiegensten Faktoren heranzieht: Sterblichkeit und schwere Verläufe: Beides ist einigermaßen im Griff. Und das ist gut. Nur heißt ein Übergang in so etwas wie die endemische Phase nicht, dass wir uns mit Corona einfach abfinden können, nach dem Motto: Ist halt, wenn's gut läuft, ein Schnupfen. Die Risiken für Akut- und Langzeitfolgen existieren, leider auch bei einer zweiten, dritten, vierten Infektion. Mir persönlich ist deshalb immer ein bisschen mulmig zumute bei dem Level an "vorher", das wir leben; ohne dass ich mich nicht gleichsam darüber freue. Hoffen können wir, nicht nur auf die Lotterie, dass uns nichts Einschränkendes passiert. Es gibt ganz vielversprechende Ideen: nasenspray-artige Impf- und Boosterstoffe, dank derer man den Erreger direkt an der Haustür des Körpers, den Atemwegen, kaltmachen könnte sowie den pan-betacoronavirus-Impfstoff, dem neue Varianten nichts ausmachen würden und der auch den altbekannten Schnupfen gleich mit erledigen könnte. Beides muss sich in weiteren Studien beweisen. Und beides muss profitabel genug erscheinen, damit es vorangetrieben wird.
Schön fand ich das Interview mit dem medial mittlerweile wieder weitgehend abgetauchten Christian Drosten in der Zeit, wo dieser recht positiv gestimmt in die nahe Zukunft mit diesem Virus blickt.
Angespanntes Betriebsklima
Jetzt hab' ich direkt mit Corona losgelegt. Macht ja bekannterweise gute Laune. Vielleicht kann ich an dieser Stelle direkt vorwegnehmen: Gute Laune wird nicht unbedingt die Stärke dieses Newsletters. Aber, und vielleicht kommt das durch, ich möchte keinesfalls alle Scheiße herauspicken, die so passiert, alle Ängste, die so existieren bedienen. Ich möchte auch die Hoffnung teilen.
In einer der nächsten Ausgaben geht es sicherlich um das Klima und die Frage, wie sehr unsere aktuellen Denkweisen und Lebensformen verwickelt sind in die Ausbeutung und Zerstörung von Natur. Dazu gibt es vieles zu sagen und ich habe vor, zu versuchen, einiges davon in diesem Jahr hier aufzugreifen. In einer der nächsten Ausgaben vermutlich anhand meiner aktuellen (Seminar-)Lektüre von Pierre Charbonnier:
Pierre Charbonnier: Überfluss und Freiheit. Eine ökologische Geschichte politischer Ideen, S. Fischer, 2022.
Die Verbindung unserer gesellschaftlichen wie politischen Ordnungen mit der Ausbeutung und Zerstörung wird in dieser Sekunde besonders plastisch erfahrbar am Ort Lützerath, der zum neuesten Symbol dafür wird, wie eng unsere Freiheiten – die Art, wie wir leben, die darauf basiert, dass wir Wasser, Strom, Nahverkehr, politische Rechte haben sowie die Möglichkeiten, uns einem autoritären Weltbild der russichen Führung entgegenzustellen – mit einer bestimmten Art, auf Natur und Umwelt zu blicken, verbunden ist: Menschen und ihre Lebenspläne müssen umziehen, Tiere und Pflanzen werden verscheucht, riesige auf Jahrhunderte martialisch anmutende Löcher ausgehoben sowie endliche Ressourcen entnommen und verfeuert, womit dann das eigentliche Thema erst richtig berührt wird: was das alles mit dem Klima macht.
Lützerath wird am Ende ein Symbol geblieben sein. Irgendwann sind die Baumhäuser geräumt und ist der Widerstand verschoben. Das verbreitete Kopfschütteln aber, die Argumente, die ausgetauscht wurden, das so geht es doch wirklich nicht weiter und die gemeinsame Erfahrung der Menschen vor Ort bleiben. Das etwas ein Symbol ist, diskreditiert seine Durchführung nicht, im Gegenteil: Symbole, die Bildhaftigkeit, Vorstellbarkeit, Erfahrbarkeit, die mit ihnen verbunden ist, sind bitter nötig. Lützerath dürfte das bleiben. Auch wenn es nicht mehr da ist.
Das lange Jahr
2022 war für mich so etwas wie ein "langes Jahr". Der Krieg gegen die Ukraine, der mit einem initialen Schock im Februar begann. Erinnert Ihr Euch an diesen Moment, die plötzlichen Ängste oder Zynismen? Und wie sich dieser dann wieder wandelte: Staunen über den initialen Kriegsverlauf und die unerwarteten Fähigkeiten wie Unfähigkeiten, Diskussionen über Waffenlieferungen, besonders in einem Land mit einer großen (eher) pazifistischen Strömung. Die fluide Pattsituation des status quo. Die Energiefragen, die sich ab dem frühen Sommer langsam in die Diskussionen schoben: Huch, wir sind ja abhängig. Jetzt kommen die Blackouts! Und die politischen Maßnahmen: Preisbremsen, Deckelungen, Verstaatlichungen, Lieferungsverhandlungen, europäische Einigungen, Pauschalen, LNG-Terminals.
Was ich sagen will: Alleine der russische Krieg und die daraus resultierenden Energiefragen waren wie ein Spielfilm mit Überlänge. Ganz zu schweigen von dem, was sonst passiert ist.
Vieles bleibt ein struggle. Auch wenn einiges an Horror ausgeblieben ist, das (Über-)Leben im letzten Jahr ist an vielen Stellen deutlich schwieriger, entbehrungsreicher geworden. Ich hoffe sehr, dass es Euch dennoch oder trotzdem gut geht und/oder, dass es besser wird. Zumindest die so konfliktbehaftete Energiefrage dürfte sich eher entspannen. Es gibt genug zu diskutieren, zu kritisieren, zu verbessern, zu erkmpfen. Aber die Zeichen stehen zumindest nicht so schlecht. Auf den Energie- ebenso wie in den Supermärkten.
Und damit ein Gutes Neues Jahr!
Ganz schön viel für eine Nullnummer dieses Newsletters. Über Annie Ernaux' "Die Jahre" schreibe ich dann doch nächstes Mal. Gutes Buch.
Glück auf
christopher